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Marko Martin

Wiederholt sich Geschichte? Angesichts der aktuellen Ereignisse liest Marko Martin vermeintlich »alte« Bücher neu und entdeckt beunruhigende, aber auch erhellende Parallelen. Die Frage »Brauchen wir Ketzer?« des ersten Arco-Autors Fritz Beer im Titel aufgreifend und Hermann Brochs »Der Intellektuelle ist … sozusagen der ›Ketzer an sich‹« im Sinn, wendet er sich scharfsichtigen Autorinnen und Autoren zu, auf die zu wenig gehört wurde: Hatten die Schriftsteller Friedrich Torberg und Hans Habe nicht bereits 1938, im Jahr der trügerischen westlichen Hoffnung auf »Peace for our Time« – unter Preisgabe Österreichs und der Tschechoslowakei an Hitler – die Schrecken des Kommenden feinnervig erspürt und in Romanen beschrieben? Hatte nicht der Essayist Ludwig Marcuse die rechts- wie linksideologischen Manipulationen seiner Zeit luzid durchschaut? Hatte die deutschsprachige Prager Schriftstellerin Alice Rühle-Gerstel in ihrem mexikanischen Exil einen behäbigen westlichen Liberalismus nicht ebenso präzis analysiert wie die mörderischen Machttechniken des Stalinismus – darin vergleichbar dem aus Charkiw stammenden Romancier Leo Lania, einem Freund Willy Brandts? Hatte nicht selbst in der DDR Stefan Heym vermocht, den herrschaftskritischen Intellektuellen zum Protagonisten seiner Bücher zu machen? Und war nicht sogar die angepaßtere Anna Seghers in ihren karibischen Novellen zu einer Art literarischer Pionierin postkolonialen Schreibens geworden?

Hilde Spiel, Primo Levi, Fritz Beer oder Hermann Broch – sie alle waren säkulare jüdische Schriftsteller, luzide Ketzer anstatt wirrköpfige »Querdenker«, die, oft unter großem persönlichen Risiko, ihre Zeit beschrieben und uns noch heute viel zu sagen haben.

Marko Martins neues Buch knüpft an sein hochgelobtes Dissidentisches Denken an, ist eine Erinnerung an tapfere Menschen und gleichzeitig Einladung, durch Lektüren unsere gegenwärtigen Debatten zu weiten.

Acro Verlag

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